ERSTER TEIL
Als Verfasser der Geheimen Offenbarung wendet sich Johannes in einer Ansprache direkt an den Konzertbesucher und begrüßt ihn mit den Worten: “Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.“ Mit dieser Umschreibung spricht Johannes von dem Schöpfer aller Dinge, vermeidet es aber respektvoll, seinen Namen auszusprechen. Anschließend erwähnt er seinen erstgeborenen Sohn und bezeichnet ihn als Fürst der Könige auf Erden. Er hat die Menschen geliebt und alle Freveltaten mit seinem Blutopfer neutralisiert. Beim Vater sei die Gewalt und deshalb sei ihm Ehre zuteil - von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Die Stimme des Herrn dröhnt in schwärzestem Bass und verkündet, dass er der Anfang und das Ende, ebenso der Erste und der Letzte sei. Der Genannte fordert Johannes auf, heraufzukommen, damit er ihm zeigen könne, was nachher geschehen muss.
Nun beginnt der Report des Johannes: Eine Tür ward aufgetan im Himmel, die direkt in den Thronsaal führt. Auf dem Thron saß der Herr und war herrlich anzusehen. Johannes vergleicht ihn mit dem Edelstein Jaspis. Um den Thron herum spannte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd auf ihn wirkte. Zusätzlich standen dort noch vierundzwanzig Stühle; auf den Stühlen saßen vierundzwanzig Patriarchen in weißer Kleidung. Auf dem Kopf trugen sie goldene Kronen. Blitze zündeten vom Thron in alle Richtungen. Donner war zu hören und auch Stimmen. Um den Thron herum brannten noch sieben Fackeln, welche den Geist Gottes in seinen unterschiedlichen Beschaffenheiten versinnbildlichen sollten. Vor dem Thron gab es ein gläsernes Meer, das wie flüssiges Kristall wirkte.
Die Wahrnehmung des Heiligen Johannes ist sehr vielschichtig. Er berichtet weiter, dass er in der Nähe des Thrones vier Wesen gesehen haben will. Das erste sah aus wie ein Löwe, das zweite glich einem Kalb, das dritte hatte ein Gesicht wie ein Mensch und das vierte Wesen hatte das Aussehen eines Adlers. Die vier unterschiedlichen Wesen richteten ihre Huldigungen an den, der auf dem Thron saß.
Lassen wir die einzelnen Gruppen zu Wort kommen: Der Wortschatz des Menschen und der drei Fabelwesen ist bescheiden: „Heilig, heilig ist der Gott, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt. Heilig ist der Herr“ jubelt das Vokalquartett. Johannes moderiert, dass die vierundzwanzig Anachoreten auf die Knie fielen, ihre goldenen Kronen niederlegten und erklärten, dass nur der Herr allein würdig sei, Preise entgegenzunehmen. Denn der Mann auf dem Thron habe alle Dinge geschaffen und festgelegt, dass sie so sein sollen, wie sie geworden sind. „Heilig ist der Herr, Gott der Allmächtige, der da war, der da ist und der da kommt! Amen!“
Was hat Johannes noch gesehen? Der Mann auf dem Throns hatte in der rechten Hand ein Buch. Es war inwendig beschrieben und der Einband enthielt ebenfalls Text. Mit sieben Siegeln war es verschlossen!
Ein Engel erkundigt sich lauten Tones mit angenehmer Tenorstimme, wer wohl würdig sei, die Siegel zu brechen, damit man das Buch öffnen kann. Andere Engel mischten sich ein und stellten die gleiche Frage. Es überraschte Johannes, dass es weder im Himmel noch auf der Erde jemanden gab, der das Buch nehmen, aufbrechen und hineinschauen wollte. Auf einmal stand vor dem Thron ein Lamm. Der Chor jubelt auf. „Leute, o sehet! Dort mitten vor dem Throne und zwischen den vier Wesen und zwischen den Ältesten steht ein Lamm“. Ein Lamm, wie es geschlachtet wurde, um alle Menschenwesen mit seinem Blut zu erlösen. Der Chor bestätigt und ergänzt, dass alle Menschen durch sein Blut erlöst wurden, unabhängig von Geschlecht, Zunge, Volk und Land.
Johannes beobachtet, wie das Lamm resolut auf den Thron zutrippelt und das Buch aus der rechten Hand von dem nimmt, der auf dem Thron sitzt. Tatsächlich, das Lamm nimmt das Buch aus der rechten Hand des Herrn.
Johannes berichtet weiter, dass die vier Wesen und die Ältesten vor dem Lamm auf die Knie fielen und Harfen und Räucherwerk in Gang setzten. Er hörte die Stimmen der Heiligern und der Engel, ihre Zahl war tausend mal tausend. Alle fanden das Lamm für würdig, das Buch zu nehmen denn das fromme Tier hatte die Macht, seine Siegel zu brechen. Man erinnere sich, es ließ sich seinerzeit schlachten und mit seinem Opfertod hat es alle erlöst.
DAS LAMM BRICHT DAS ERSTE SIEGEL
und es erschallt eine Donnerstimme. „Komm, komm, komm.“ Der in Andacht versunkene Konzertbesucher möge nun darauf gefasst sein, dass die Geschichte von Siegel zu Siegel, von Abschnitt zu Abschnitt, immer sensationeller wird. Ein weißes Pferd betritt die Szene. Der Reiter trägt eine Krone auf dem Kopf und hat als Waffe einen Bogen dabei. Ausgezogen ist er, um zu siegen; kämpfen will er für die Gerechtigkeit, um anschließend Gericht zu halten. Der Chor gibt weitere Aufklärung: Der Bogenschütze sei der Herr, der König der Könige. Sein Name heiße „Das Wort Gottes“. Treu und wahrhaftig wird er ebenfalls genannt. Seine Augen seien wie eine Feuerflamme. Der Chor korrigiert, dass sich auf seinem Haupt viele Diademe befinden. Das Gewand, welches er trägt, ist mit Blut durchtränkt. Die Herden der Völker wird er mit einem eisernen Stab hüten. Himmlische Heerscharen auf weißen Pferden werden ihm bei allen Aktivitäten assistieren. Sie reiten in weißen Kleidern auf weißen Pferden, um ihn auf seinem Siegeszug zu begleiten.
DAS LAMM ÖFFNET DAS ZWEITE SIEGEL.
Ein feuerrotes Ross betritt die Szene. Dem Reiter war es ein Bedürfnis, von der Erde den Frieden wegzunehmen. Er hatte ein großes Schwert dabei und stiftete die Menschen zum Morden an. Der Männerchor, Tenöre und Bässe, verkörpert die mordende Kriegerschar und lässt sich folgendermaßen vernehmen: „Tötet, erwürgt und erschlagt den Feind! Schont niemand! Verschont nichts, zerstört und verwüstet, was euer Arm erreicht! Schlagt um euch! Mordet! Zündet an! Plündert! Schonet das Kind nicht im Mutterleib! Seid stark! Dem Frauenchor (Sopran und Alt) ist das zu viel. Er bittet, die Mütter zu schonen und die Kinder ebenfalls, er bittet den roten Reiter um Gnade für die Kleinen. Der auf Milde Angesprochene ist jedoch nicht geneigt: „Heulende Weiber! Ihr seid des Todes! Keine Gnade für Euch und Eure Brut“ ist seine Reaktion. Das Motiv des roten Reiters ist Missgunst. Alle waren heiter, sorglos, glücklich und reich. Damit sei es jetzt vorbei. Dem Tod sollen die Heulenden verfallen sei. Die wütenden Krieger finden kein Ende, verbal auszuloten, was alles passieren wird. Das Rauben und Morden soll niemals ein Ende haben. Gott soll die Not der Frauen sehen. Wird es notwendig sein, ihr Jammergeschrei noch zu verstärken, damit es Wirkung zeigt? Tatsächlich reicht es aus, den roten Reiter mit seiner Höllenschar verschwindet zu lassen.
DAS LAMM ENTFERNT DAS DRITTE SIEGEL.
Der schwarze Reiter hat ein Maß Weizen und ein Maß Gerste dabei. Es muss für alle reichen. In der Hand hält er eine Waage. Sieht die Mutter nicht, wie die Tochter vor Hunger stirbt? Hat sie kein Brot? Die Mutter wird ärgerlich. Woher soll das Brot kommen, wenn die Felder verwüstet und die Männer tot sind. Warum sucht der Vater im Himmel sie mit schrecklicher Not heim? Nun, sie alle trifft der Zorn, weil sie gesündigt haben. Die Frauen beginnen Unsinn zu reden. Die Kinder sollen im Leiden standhaft bleiben. Wenn sie ausharren, gehört der Sieg ihnen. Nun ist es an der Zeit und
DAS LAMN KNACKT DAS VIERTE SIEGEL.
Johannes sieht ein fahles Ross, welches lahmt und hinkt. Auf ihm sitzt der Tod und Tote sind sein Gefolge. Zwei Solisten bemerken, dass sie die einzigen Überlebenden sind und stellen die Betrachtung an, dass im Tod alle Brüder sind. Wie dem roten und dem schwarzen Reiter ward auch dem Führer des scheckigen Pferdes Macht gegeben, mittels Hunger, Pest und wilde Tiere zu morden. Doch der Herr hat versprochen: wer ausharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden. Ein etwas seltsamer Spruch, der das Nachdenken erübrigt.
DAS FÜNFTE SIEGEL TUT SICH AUF.
Es erscheinen die Seelen derjenigen, die um den Zeugnisses Willen den Märtyrertod erlitten haben. Im Sinn haben sie nichts anderes als Vergeltung und sie warten darauf, dass über ihre Peiniger endlich das fällige Strafgericht hereinbricht und sie erkundigen sich nach dem Zeitpunkt. Als Trost bekommen sie zunächst ein weißes Kleid und werden dann bis auf weiteres vertröstet.
DAS SECHSTE SIEGEL, WELCHES DAS LAMM AUFBRICHT
kündet von schrecklichen Naturkatastrophen. Wiederholen wir, was der Chor erzählt: „Die Erde wankt, es schwankt der Boden! Entsetzen! Wehe! O seht, der Mond ist rot wie Blut! O fürchterlicher Sturm! Schreckliches Brausen! Es fallen die Bäume! Es brennt der Wald! Ach, wie glüht die Luft! Seht! Die Sterne fallen auf die Erde! Sie fallen wie die Früchte des Feigenbaumes, den der Sturm rüttelt. Welch grausiger Hagel! Es schwillt das Meer und es steigt immer höher und höher. Rettet euch in die Berge! O welch grauenvolle Finsternis! Die Sonne geht auf und dennoch wird es nicht hell, denn seht, das Himmelsgestirn ist schwarz wie ein Bußkleid. O Schrecken! Der Tag der Vergeltung ist da. Der Herr ist zornig und das Lamm ist es auch. Die Berge sollen über die Überlebenden fallen und sie vor dem Angesicht des Herrn verbergen. Wer kann vor seiner Wut bestehen?“ Der Tag des Zornes ist gekommen.
MIT DEM ÖFFNEN DES SIEBTEN SIEGELS BEGINNT
DER ZWEITE TEIL des Oratoriums. Johannes ergreift das Wort, die Fantasie geht mit ihm durch. Seine Symbolsprache bringt Bilder, die nicht zueinander passen wollen. Dieser Teil der Offenbarung ist eine harte Nuss. Es beginnt mit dem großen Schweigen im Himmel und am Himmel. Dann erscheint eine schöne Frau am Firmament. Umkleidet ist sie von der Sonne und sie steht auf der Sichel des Mondes. Die Sterne wollen auch untergebracht sein. Zwölf davon umschweben ihr Haupthaar wie eine Krone. Zudem stellte Johannes fest, dass sie gesegneten Leibes ist und gebären sollte. Ein weiteres Lebewesen erscheint am Himmel. Es ist ein feuerroter Drache mit sieben Köpfen. Jeder Kopf ist mit einem Sternendiadem gekrönt. Sein gehörnter Schwanz ist ungemein aktiv. Er wedelt damit ständig herum und fegt die Sterne vom Himmel - wie welkes Herbstlaub fliegen sie mit viel Geklimper auf die Erde. In seiner Unverschämtheit stellt der siebenköpfige Drache sich vor die Dame, um abzuwarten, bis sie gebären wird. Der Unhold beabsichtigt nämlich, das Kind sogleich nach der Niederkunft zu verschlingen. Doch diesmal hat der Missratene die Rechnung ohne den Himmel gemacht. Das Knäblein wird auf wunderbare Weise entrückt und neben den Weltenschöpfer auf den Thron gesetzt. Die Mutter nutzt die Schrecksekunde des Drachen, um in die Wüste zu flüchten. Eine Notunterkunft mit einem sparsamen Nahrungsangebot findet sie intakt vor. Der Knabe - kaum geboren - wird im Himmel auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet. Mit eisernem Stab soll er das Böse bekämpfen und die Funktion eines Völkerhirten übernehmen. Alle Aktivitäten muss er jedoch nicht selbst in die Reihe bringen – man wird ihn nach Kräften unterstützen.
Der Himmel selbst ist zum Kriegsschauplatz geworden. Der Erzengel Michael, extrem wehrhaft und bis an die Zähne bewaffnet, tut sich hervor und nimmt es mit dem gekrönten Drachen auf. Obwohl andere Engel, die ihm an Kampfkraft kaum nachstehen, kräftig mitmischten, gelingt ihm der Endsieg nicht. Doch der Störenfried wird niedergeworfen und ausgiebig beschimpft. Die große alte Schlange, die man auch Teufel oder Satan nennt, hat nichts anderes im Sinn, als die Welt zu verführen. Ungeschickterweise wird der Übeltäter mit seiner Anhängerschaft ausgerechnet auf die Erde geworfen, wo er Gelegenheit findet, sein Zerstörungswerk fortzusetzen. Allerdings sollte der Konzertbesucher einsehen, dass für ein solches Untier im Himmel kein Platz ist, weil es dort bei Liturgie und Andacht stört – aber irgendwo muss man es schließlich unterbringen. Erst einmal wieder Boden unter den Füßen, hat das Reptil nichts anderes im Sinn, als die Frau zu verfolgen, welche den Sohn geboren hat, der nun in besseren Gefilden eine Heimat gefunden hat und sich um seine Mutter nicht mehr kümmert. Der geschwänzte Drache sieht es als seine Lust an, ausgerechnet jene Menschen am meisten zu ärgern, welche die zehn Gebote einhalten und Zeugnis für Jesus ablegen.
Ein Weilchen schaut der Himmel sich den Terror an und schickt dann einen neuen wagemutigen Engel mit Sonderauftrag und Spezialvollmacht nach unten. Dieser führt eine große Kette mit sich und hat einen Schlüssel für die Tiefen des Abgrunds dabei. Mit dem Geschick eines James Bond gelingt es dem geflügelten Geheimagenten, den Drachen, den man auch „Alte Schlange“ oder „Satan“ nennt, zu ergreifen und festzuzurren. Als Verlies dient eine Kluft, in die er hinabgestoßen wird. Damit der Mordskerl nicht mehr entweichen kann, wird das Bodenspalte verrammelt und anschließend versiegelt. Die Dauer seiner Haft ist zeitlich begrenzt und beträgt tausend Jahre. Mit dieser ruhmvollen Tat ist der Drache nun vorläufig außerstande, die Völker der Erde zu verführen. Er hat die Möglichkeit, die Zeit zu nutzen, um über seine ruchlosen Taten nachzudenken und zu bereuen, damit die Haftstrafe nicht verlängert werden muss.
Mit einem Schlage wird es unerträglich still am Himmel. Doch Johannes hat bereits ein neues Gesicht. Sieben Engel stehen vor dem himmlischen Thron. Jeder bekommt eine Posaune in die Hand gedrückt und alle sieben Engel rüsten sich – wie Johannes es ausdrückt – zum Blasen. Aber es ist keine fröhliche Musik, welche die Engel hervorbringen. Sie kündete von Leid und viel Wehe, das über die Menschen kommen soll. Damit Missverständnisse gar nicht erst aufkommen, setzt nun das Altsolo ein, um verbal Information zu geben, was der gebeutelten Menschheit bevorsteht. Regen von Blut und Feuer wird auf die Menschheit einstürzen, weil sie gesündigt hat. Der Chor antwortet, dass Gott mit dieser Maßnahme die sündige Menschheit bestraft. Es passiert aber noch viel mehr. Der Tenor gesellt sich zum Alt: Ein glühender Berg wird ins Meer geworfen und alle Schiffe sind danach zu Fluchtmöglichkeiten ungeeignet. Alles Leben erlischt im Wasser, denn es ist zu Blut geworden. Bei einer solchen Häufung von Schrecken kann der Chor nur noch ausrufen „Großer Gott, gerecht sind deine Gerichte!“ Das Wüten nimmt kein Ende. Ein brennender Stern, der den Namen Wermut trägt, fällt auf die Erde. Alles Wasser wird nun zu Wermut. Wer davon trinkt, stirbt daran. Wahrlich, gerecht ist die Strafe des Herrn!
Jede Posaune kündet von neuer Strafe. Da Vokalquartett plaudert nun über das vierte Weh, welches die Menschheit ergreifen wird. Sonne, Mond und Sterne sind erloschen, denn Gottes Zorn hat sie getroffen. Der Mächtige bezweckt mit seinem unermesslichen Wüten, dass man in der Welt seine Justiz fürchten soll. Hört! Hört, die fünfte Posaune: sie leitet das Jüngste Gericht ein. Alle Sünden werden einer Kontrolle unterzogen, denn Gottes Gericht ist gerecht. Eine Neuigkeit fördert Johannes an den Tag. Ein Meteorit hat einen tiefen Schacht in den Abgrund geschlagen. Nein, der „Alten Schlange“ hat es die Freiheit nicht gebracht, sondern dem Loch entquillt schwarzer Rauch. Heuschrecken ohne Zahl kommen, um die Menschen zu peinigen, weitaus schlimmer als Skorpione es vermögen. Die Menschen suchen den Tod, doch sie finden ihn nicht. Die sechste Posaune ertönt, hält aber keine neuen Schrecken bereit, sondern wiederholt die Nachricht, dass es ein großes Gericht geben wird. Der Zorn Gottes wird alle vernichten, weil die Menschen nur Böses im Sinn führen. Ein Bataillon von Engeln ist am Euphratstrom stationiert und wird jetzt gegen frische Truppen abgelöst. Millionen Reiter werden zum Kampf gegen das Böse antreten. Sie stürmen dahin, um alles zu vernichten. Frist zur Besserung gibt es keine mehr. Sobald der siebente Engel die Posaune an die Lippen setzt wird Gottes Geheimnis aufgedeckt. Eine frohe Botschaft wird man möglicherweise verkünden, weil Gott es seinen Propheten so versprochen hat.
DIE SIEBENTE POSAUNE ERTÖNT!
Ewig ist die Gewalt des Herrn über alles. Die Herrschergewalt über alle Reiche dieser Welt hat Gott an sich genommen. Sein Loblied soll gesungen werden. Die Solisten, das Vokalquartett und der Chor schweigen endlich, denn jetzt hat Johannes seinen großen Auftritt. Er ist eingeladen, den Ablauf des Jüngsten Gerichtes zu moderieren. Wegen der Bedeutsamkeit des Textes soll das Wagnis einer Zusammenfassung nicht unternommen werden. Der Absatz sei wörtlich zitiert:
„Vor dem Angesicht dessen, der auf weißem Throne saß, flohen die Erde und der Himmel und keine Stätte ward für sie gefunden. Und das Meer und der Hades gaben die Toten heraus, die in ihnen waren. Und alle Toten, groß und klein, standen vor dem Thron. Und Bücher wurden aufgeschlagen und die Toten wurden gerichtet nach dem, was da in den Büchern aufgeschrieben stand, nach ihren Werken. Und ein anderes Buch ward aufgeschlagen: das ist das Buch des Lebens. Wer aber nicht gefunden wurde aufgeschrieben im Buch des Lebens, ward in den Feuersee geworfen. Das aber ist der zweite Tod, der Feuersee. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde und alle, die im Buche des Lebens aufgeschrieben waren und die nun das ewige Leben haben.“
Die Stimme des Herrn soll ebenfalls wörtlich zitiert werden: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Ich will den Dürstenden geben von den Wasserquellen des Lebens. Sehet das Zelt Gottes mitten unter den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein. Er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und das Leid und der Tod wird nicht mehr sein; denn das erste ist vergangen. Seht, ich mache alles neu! Und wer überwindet, soll es zum Erbe empfangen, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.“
Frauen wurden leider nicht privilegiert. Da es sich um einen ausgesprochen theologischen Text handelt, soll er wegen seiner Wichtigkeit nur zu Kenntnis gebracht, aber nicht darauf eingegangen werden.
Mit dem Hallelujah beginnt nun der packendste und aufregendste Teil des Oratoriums. Die Betonung liegt auf dem Buchstaben A, während eine Dehnung des Vokals E vom Komponisten ausdrücklich vermieden wurde. Der Chor geht in seiner Intensität bis zum Äußersten was die Tonhöhe und die Leidenschaftlichkeit des Empfindens anbelangt. Ein kurzes Dankgebet des Männerchors als Finale geht den abschließenden Worten des Evangelisten voran. Johannes bestätigt ausdrücklich, dass er alles, was er offenbart, selbst gehört und gesehen hat. Auf seine Worte soll der Konzertbesucher hören, denn sie erklären alles, was bald passieren wird. Die Gnade des Herrn soll mit allen sein.
Anmerkung:
Hat der Evangelist Johannes dem Christen und dem Andersgläubigen heute noch etwas zu sagen? Man muss ihn aus seiner Zeit und seinem geographischen Umfeld verstehen. Sein vorgerücktes Lebensalter und seine Verbitterung formulieren seine Prophezeiungen. Er bedient sich einer Symbolsprache, die in ihren Einzelheiten dann zu verstehen ist, wenn eine theologische Vorbildung vorliegt - und sei es nur die Schulbibel.
Die Schrecken biologischer und pyrotechnischer Art sind realistisch und im Laufe der Menschheitsgeschichte mehrfach durchgeprobt. Naturkatastrophen haben den Stellenwert einer Nachricht angenommen. Johannes erzählt dem Menschen von heute nichts Neues. Bei ihm laufen alle Weissagungen vor dem Hintergrund von Schuld und Sühne ab. Bei zeitnaher Betrachtung ist das Verhängnis, welches auf alle wartet, nicht Strafe für begangene oder nicht begangene Bosheiten, sondern die Konsequenz bodenloser Borniertheit. Es besteht keine Notwendigkeit, dass der Mensch sich durch Waffengewalt selbst vernichtet und den Erdball so lädiert, dass er nicht mehr wiederzuerkennen ist.
Hier greifen Schöpfungsprinzipien, eine solche von Ursache und Wirkung, der ewige Dualismus sowie der Ablauf von Kommen und Gehen. Die Form, mit der Johannes seine Geschichte ausschmückt, haben lediglich literarische Qualität. Sie entzückt oder irritiert, eine Bewertung nach Gutdünken ist dem Einzelnen freigestellt. Die Frage, woher der Mensch kommt und wohin er geht, ob er sich auflöst oder transformiert, wird ein Buch mit sieben Siegeln bleiben.
Franz Schmidt schrieb sein Oratorium zu einer Zeit, als die Welt in Flammen aufzugehen drohte. Er konnte keine bedeutsamere Vorlage als eine fast zweitausend Jahre alte Überlieferung finden, die den Schrecken anschaulicher dargestellt hätte, als die Offenbarung des Evangelisten Johannes. Das abschließende Halleluja ist in seiner Tonsprache und Intensität unvergleichlich, verleitet zum tiefen Nachdenken und lässt den Hörer nicht aus seinem Bann. Franz Schmidt schuf eine Komposition von zeitloser Gültigkeit.
Die amerikanische Erstaufführung fand 1954 in Cincinatti unter Josef Krips statt. In Salzburg wurde das Oratorium 1958 zu den Festspielen unter Dimitri Mitropoulos ins Programm genommen. Als erste Studioproduktion auf Tonträger gilt die Einspielung von 1984 unter Lothar Zagrosek unter dem ORF-Symphonie-Orchester sowie dem Chor der Wiener Staatsoper mit Peter Schreier als Solisten.
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musirony 2008 - Engelbert Hellen