INHALTSANGABE
PROLOG
Einmal im Jahr veranstalten Hiobs Söhne und Töchter ein festliches Zusammentreffen. Da es ziemlich ausgelassen zugeht, fürchtet Hiob, dass die Kinder Gott in ihrem Herzen fluchen und hätte hierüber gern Aufklärung
Im Himmel treten die Engel vor den Herrn und müssen über Hiob, dessen Person hier oben großes Interesse entgegengebracht wird, Bericht erstatten. In der Gruppe nimmt der anklagende Engel staatsanwaltschaftliche Aufgaben wahr.
Gemäß Prozessordnung wird die Stimme Gottes durch einen Chor wahrgenommen. Zunächst will der Herr wissen, wo der Chefankläger gerade herkommt. Er war auf der Erde, ist hier und da herumspaziert und hat sich ein bisschen umgeschaut. - Hat er Notiz genommen von seinem Diener Hiob. Es gibt niemanden auf der Erde, der so ist wie er; so perfekt integriert, dass er Gott fürchtet und den Satan meidet. – Hat Hiob nicht einen guten Grund so gut zu sein? Hast du o Herr nicht eine Hecke um ihn herum aufgebaut - um ihn selbst und um seine Familie? Du überhäufst ihn mit Wohltaten und segnest, was immer er tut. Sobald du ihm wegnimmst, was er hat, wird er sich aufsässig verhalten. Wenn du ihn bei seinem Fleisch und seinen Knochen packst, wird er zunächst alles daran setzen, seine Haut zu schützen. Gelingt es nicht, wird er dir ins Gesicht fluchen.
"Gut, machen wir einen Test. Alles, was er besitzt, gebe ich in deine Macht, aber lege nicht hand an ihn."
Jobs Stellungnahme wird vorweggenommen:
Nackt kam er aus seiner Mutter Leib und nackt wird er die Erde verlassen. Der Herr gibt und der Herr nimmt. Mag der Name des Herrn gesegnet sein.
Gott verdamme den Tag, an dem er geboren war und die Nacht, in der man ihn aus ihrem Leib zwang. Dieser Tag soll in Dunkelheit versinken, besser wäre es, dass nimmer er gewesen, verschwinden soll er ins Nichts. Das Chaos soll ihn überlagern. Schwarze Wolken ihn überwältigen
Und so lamentiert Hiob fort und fort.... Dunkelheit soll eintreten, die Sterne erlöschen, Gott legt seinen Weg ins Dunkle. Nachtgespenster stehen an seiner Seite. Ruhe und Frieden haben ihn verlassen und Pein macht sich in seinem Herzen breit.
Erste Runde:
Die Freunde spotten:
Hat Hiob all seinen Glauben verloren bei aller Frömmigkeit, alle Hoffnung trotz tadellosen Betragens? Kann ein unschuldiger Mann so bestraft werden? Kann ein guter Mann dermaßen in Not geraten? Qual kommt nicht aus dem Staub. Sorge sprießt nicht aus der Erde. Der Mensch selbst ist der Vater der Sorge, das ist so gewiss wie die Funken fliegen.
Er ist glücklich, dass Gott ihm zürnt. So mag er sich diese Lektion zu Herzen nehmen. Er soll seine Wunden verbinden, damit seine Verletzungen heilen. Wenn Katastrophen zuschlagen wird der Herr ihn retten und nie wird Schlimmes ihn antasten. Im Krieg wird er ihn schützen, damit sein Blut nicht fließe, bei Hungernot schützt er ihn vor dem Griff des Todes.
Wenn Verleumdung umherschweift wird er ihn verbergen. Er wird dem Unglück ins Gesicht lachen. Er wird sterben auf der Höhe seiner Kraft und eingesammelt wie eine reife Ähre.
Hiob lamentiert:
Wenn sein Leid das Maß übersteigt oder die Sorge eskaliert wird es den Sand des Ozeans aufwühlen. Das ist der Grund, weshalb er verzweifelt. Gott hat er in Furcht angerufen und seine Pfeile haben sein Herz zerstochen. Des Menschen Leben ist ein Gefängnis. Er ist verurteilt zu Pein und Schmerz. Wie ein Sklave keucht er im Schatten, wie ein Diener sehnt er sich nach Ruhe. Jeder Tag, den er lebt dünkt ihm endlos und er durchleidet die endlosen Nächte. Wenn er sich niederlegt, sehnt er sich nach dem Morgen, wenn er aufsteht wünscht er sich den Abend herbei.
In seinem Fleisch wimmelt es vor Maden, seine Haut sickert und kracht. Seine Hoffnung ist dünn wie ein Zwirn.
Er weigert sich, zu schweigen. Die Wahrheit will er in sein Gesicht sprechen. Vorbereitet hat er seine Verteidigung und er weiß, dass er richtig handelt. Leben ist Atem. Bald wird er verschwinden aus seinem Blickfeld. Das Auge, welches Ausschau hält, will ihn nicht mehr sehen. Man mag ihn suchen, aber er wird fort sein, so wie eine Wolke am Himmel verblasst. Im Tode löst der Mensch sich auf. Er lässt die Welt hinter sich und wird niemals mehr heimkommen.
Welche Freveltat hat er begangen? In welcher Weise hat er gesündigt? Weshalb verbirgt er sein Gesicht, als wenn er sein Feind wäre. Der Herr formte ihn aus Ton, und er wird zu Staub werden. Er liebte ihn, er gab ihm das Leben und hauchte ihm den Geist ein. Dies versteckte er in seinem Herzen: Seine Absicht war es, ihn zu schützen und zu bestrafen für den Rest seiner Tage, wenn er sündigen würde in seinem Herzen. Er setzte ihn in Freiheit, dann packte er ihn, wie die Katze die Maus. Weshalb ließ der Herr zu, dass er geboren wurde. Konnte er nicht zurückbleiben in den tiefen Wassern des Mutterleibes, schaukeln und schlafen in der Dunkelheit?
Man soll ihm noch einen Moment des Friedens lassen, bevor er weggehen muss in das Land des endlosen Schattens, welches schwarz ist wie die Nacht.
Zweite Runde
Die Freunde kommen und belehren:
Geh, lerne von der Weisheit des Alters und höre auf die Worte der Patriarchen. Ihr Rat sollte ihn führen und ihre Antwort wird ihm Frieden geben. Niemals verrät Gott den Friedfertigen, meinen sie. Ihren Mund füllt er mit Lachen und Freude wird von ihren Lippen bersten. Will er unserer religiösen Einsichten spotten und unsere Nachsicht zurückweisen? Was hat ihn so wild gemacht, dass er seinen Ärger gegen Gott richtet und solche frechen Worte wählt?
Hiob weiß, niemand kann sich mit Gott anlegen oder auf tausend Anklagen antworten. Aber wie soll er seine Unschuld demonstrieren? Er hat ihn um Gnade anzuflehen. Wenn er es für richtig hält, wird er antworten. Hört er sein Flehen überhaupt? Wenn die Plagen plötzlichen Tod bringen lacht er über die Pein der Friedfertigen. Er gibt die Erde den Bösen und blind ist sein richtendes Auge. Wer schafft die Fakten, wenn nicht er.
Hiob fährt fort, sich seinen Verdruss von der Seele zu reden.
Dritte Runde
Die Freunde haben sich von ihm abgewandt:
Wie kann ein Mann ehrenhaft sein und ohne Sünde bleiben, wenn Gott den Mond verachten würde und denkt die Sterne seien befleckt? Seht diesen üblen Wurm, zerfressen von Maden. Seine Schuld muss in Wahrheit sehr groß sein und sein Verbrechen unfassbar. Das ist, warum Schmerz rundherum ihn niederstreckt. Das Licht hat sich zur Dunkelheit gedreht und schwarze Wolken schließen sich über seinem Kopf.
Hiob möchte vor Gott und seinen Heerscharen seinen Fall zur Sprache bringen. An welcher Tugend hat es gefehlt? Wie hat Gott es entgolten? Ist nicht Ungnade für die Sünder und Elend für die Bösen vorgesehen? Kann die Hölle die Bewegungskonten der Menschen nicht in Ordnung halten?
Hiob schwört bei Gott, der ihm Übles angetan und seinen Becher mit Verzweiflung gefüllt hat, dass so lange Leben in seinem Körper ist und er noch atmen kann, seine Verurteilung nicht zulässt. Niemals wird er seine Forderung aufgeben und festhalten an seiner Unschuld. Sein Geist wird sich nicht unterwerfen.
Die Vision:
Der Unaussprechliche erscheint und löst sich aus dem Wirbelwind:
Wer ist er, dessen ignoranten Worte sein Design mit Dunkelheit verwischt. Aufstehen soll er wie ein Mann. Seine Fragen wird er beantworten. Er soll seine Instruktionen geben.
Er wagt es, sich seinem Richterspruch zu widersetzen? Liegt der Unaussprechliche verkehrt, weil er glaubt, selbst recht zu haben? Wo war Hiob, als er die Erde plante? Er soll es erzählen, wenn er sich so schlau dünkt.
Weiß er, wer die Dimensionen berechnet hat, die Länge mit einem Seil ausgemessen? Wer hat die Pfeiler des Universums gebaut und die Ecksteine gesetzt, während der Morgenstern durch seinen Gesang birst und die Engel aufschreien vor Freude?
Wo war er, als der Erschaffer die Wasser aufhielt, die in wildem Gischt aus dem Leib der Erde hervorquollen, als er die Kraft des Ozeans in Wolken einwickelte und das Wasser vom Land trennte?
Der Unbenennbare befasst sich mit Hiob und erzählte ihm von den Wundern seiner Schöpfung, von der Löwin und ihrem Jungen, von der Anmut der Antilope und vom Flug des Falken und von all den Wundern und Herrlichkeiten, die William Blake phantastisch in seinen Kupferstichen festgehalten hat.
Hiob ist ganz klein geworden und antwortet. Er weiß, der Herr hat alle diese Dinge getan und nichts, was er wünscht ist unmöglich. Er hat gesprochen von dem Unaussprechlichen und nach dem Unendlichen gegriffen. Er hatte gehört mit seinen Ohren und nun haben seine Augen ihn gesehen.
Jetzt will er still sein und begreifen, dass er Staub ist.
Anmerkungen
David Lemon hat nun den Versuch unternommen „Das Buch Hiob“ mit seinen 42 Kapiteln zu einem Libretto von etwa einer Stunde Dauer zusammenzupressen. Er konzentriert sich dabei auf Schmerz und Klage des Betroffenen und seine Erlösung durch Einsicht, nachdem der Unbenennbare sich ihm offenbart hat. Von den „Hiobsbotschaften“ berichtet das Libretto nichts, so dass der Leser und Hörer nicht recherchieren kann, was dem armen Hiob eigentlich widerfahren ist. Die Figur des anklagenden Engels steht stellvertretend für den Satan selbst, der seltsamer Weise Zugang zu den himmlischen Gefilden hat und dort im Rat sitzt, obwohl der Gläubige ihn eigentlich in der Hölle vermutet. Auge in Auge führt er mit Gott einen kontroversen Dialog, der mit einer Wette endet. Es geht um das Thema, ob der Mensch sich auch dann noch gottesfürchtig zeigt, wenn das Schicksal ihm zusetzt. Wird er den Lobpreis einstellen und rebellieren. Es ist das Thema des Oratoriums.
Peter Maxwell Davies hat hierzu eine dissonante Musik geschrieben und ist das gewagte Experiment eingegangen, die Person des Hiob mal als Chor, mal als Tenor und ein anderes mal als Bariton lamentieren zu lassen, um seiner Komposition ein breiteres Spektrum zu verschaffen.
Die Vorlage für sein Oratorium waren die 21 Kupferstiche des englischen Künstlers William Blake. Vaughan Williams hatte sich des gleichen Themas 70 Jahre zuvor ebenfalls angenommen und in der Form eines „Maskenspiels zum Tanzen“ der biblischen Vorlage Gestalt gegeben.
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musirony 2006 - Engelbert Hellen